«Ich durfte mich immer wieder neu erfinden»

Eva, dipl. Gerontologin SAG, Dipl. Sozialpädagogin HF, seit 35 Jahren im Gehörlosendorf

Seit 35 Jahren setzt sich Eva unermüdlich für das Wohl unserer Bewohnenden ein. Von Betreuung und Pflege über Reinigung, Gartenarbeit bis zu Qualitätsmanagement und stellvertretender Bereichsleitung hat Eva ein sehr breites Tätigkeitsfeld in der Stiftung Schloss Turbenthal erlebt. Durch ihre Offenheit für Veränderungen, Vielseitigkeit und Kompetenz hat sie die Entwicklung des Gehörlosendorfes massgeblich mitgeprägt. Sie selbst sagt dazu: «Ich bin dankbar für all die Möglichkeiten in der Stiftung und ich bin froh um die Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen, die meine Talente erkannten und gefördert haben. Das macht für mich diese Institution aus: Die vielen Möglichkeiten, die sich bieten, sich zu entwickeln, sind eine Chance für Bewohnende und auch für das Personal.» Wir danken Eva herzlich für dieses unermüdliche Engagement bis zum heutigen Tag und hoffen, dass sie sich noch oft neu erfinden kann.

 

«Wie habe ich das nur ausgehalten? 35 Jahre in der gleichen Institution zu arbeiten heisst nicht zwingend, dass ich betriebsblind bin. Ich kann mich gut an frühere Zeiten erinnern (bekanntlich verbessert sich im Alter das Langzeitgedächtnis). Es ist eine lange Zeit, aber sie war nie langweilig. Ein besonderes Jahr reihte sich ans andere. Das war es, was mir an meiner Arbeit von Beginn an gefiel: Das selbstständige Arbeiten und Mitdenken. Anno 1987 gab es weniger Personal. Wir waren ein kleines Team von vier Frauen, die sich um viele, aber zum Teil sehr eigenständige Bewohnende kümmerten. Ich arbeitete damals noch ohne Fachausbildung als Betreuerin im Haus B (heute die Bewohnendenzimmer und Pflegeabteilung). Uns «gehörte» der erste und der zweite Stock mit vielen Bewohnenden, die mithalfen, wo sie konnten. Wir kümmerten uns um die Reinigung der Räume und halfen am Wochenende auf der Pflege und in der Gärtnerei mit.

Ich genoss die Einsätze in der Küche und im Garten und war bei vielen Ausflügen, Ferienkursen und Projekten dabei. Ich war und bin offen für Neues und schätze neue Projekte. Mit der Einführung des Konzeptes «Das Gehörlosendorf» erhielten die Bewohnenden mehr Selbständigkeit – wir kamen weg von der Wohnform in kleinen Wohngruppen. Die Bewohnenden erhielten mit dem Dorfrat ein Gremium zur Mitbestimmung, das Restaurant wurde in ein Selbstbedienungsrestaurant umgebaut, Regeln des Zusammenlebens wurden gemeinsam neu erarbeitet und viele neue Angebote sind entstanden. Dies war eine grosse Herausforderung, für die Bewohnenden wie auch für mich und meine Kolleginnen und Kollegen. Es war jedoch begeisternd zu sehen, wie sich die Bewohnenden weiterentwickelten durch mehr Mitspracherecht, Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Ich finde das Konzept des Gehörlosendorfes bis heute genial – Menschen, welche sonst möglicherweise nur in einer Klinik leben könnten, wohnen bei uns mehrheitlich selbstbestimmt. Einige Jahre war ich Leiterin des Personalrates sowie stellvertretende Bereichsleiterin vom Bereich Wohnen und Dorfarbeit. Durch die Einführung des Konzeptes «Gehörlosendorf» erhielt das Aufgabengebiet der internen Organisation des Gehörlosendorfes viel mehr an Bedeutung – daraus entstand der Begriff der «Dorfarbeit». Eines der grössten Highlights war auf jeden Fall die Gründung der Wundernase-Zeitung. Die Bewohnenden durften die neue Haus-Zeitung mitgestalten und erhielten somit eine sichtbare Stimme. Damals hätte niemand gedacht, dass dies so gut und lange funktioniert.

Ich habe auch den Dorfrat begleitet, in der Erwachsenenbildung mitgedacht und wurde bei Bauvorhaben einbezogen. Beim Aufbau des Qualitätsmanagements durfte ich mithelfen und schätze Flussdiagramme zur Verdeutlichung von Abläufen immer noch sehr.

Ich war und bin Teamleiterin und früher Fallverantwortliche im Wohnen – auch für die Bewohnenden der Pflege. Während meiner Zeit im Gehörlosendorf absolvierte ich berufsbegleitend die Ausbildung zur Sozialpädagogin und zur Gerontologin. Für meine Abschlussarbeit als Gerontologin habe ich einen Preis der Pro Senectute für eine Schreibwerkstatt mit den Frauen der Wundernase­Redaktion gewonnen. Das hiess viel Freiheit und viele Möglichkeiten, aber auch viel Eigenverantwortung und Verantwortung für die Bewohnenden übernehmen. Die Bewohnenden und ihre Bedürfnisse stehen immer im Mittelpunkt meiner Arbeit.

Ich bin dankbar für all die Möglichkeiten, die mir in der Stiftung Schloss Turbenthal im Gehörlosendorf geboten wurden. Ich bin froh um die Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen, die meine Talente erkannten und gefördert haben. Das macht für mich diese Institution aus – früher wie auch heute. Die vielen Möglichkeiten, die sich bieten, sich zu entwickeln, sind eine Chance für Bewohnende und auch für das Personal. Die Offenheit, sich selbst zu entwickeln, kann oder muss jedoch von jedem Einzelnen selber gepflegt und eingefordert werden. Nur so kann sich die Idee «Gehörlosendorf» weiterentwickeln. All dies braucht Geduld, Engagement, Neugier und Lust auf Neues, ohne das Altbewährte zu vergessen.»

Mein Leitspruch ist: Geduld ist die Tugend der Revolutionäre. (Rosa Luxemburg)

Ich möchte bei der nächsten «Revolution» im Gehörlosendorf dabei sein, ich habe Geduld, ich kann warten. Meine Geduld wurde belohnt, meine Revolution war erfolgreich. Ich kann mir nun überlegen, was es noch Neues auszuprobieren gibt – Langeweile kommt dabei nie auf. In diesem Sinne schliesse ich mit Antoine de Saint-Exupery: «Ich möchte Spuren hinterlassen, nicht nur Sand».