«Wenn ich gewusst hätte, dass es das Gehörlosendorf gibt, hätte ich mich schon früher hier beworben»

Ingrid Scheiber-Sengl, dipl. Gebärdensprachlehrerin und agogische Angestellte, seit 20 Jahren im Gehörlosendorf

Bis heute ist Ingrid ein wichtiges Bindeglied zwischen der Welt der Gehörlosen und den Hörenden im Gehörlosendorf. Mit kompetenten und fachkundigen Gebärdensprachkursen und durch ihre offenherzige Betreuung der Bewohnenden leistet sie einen grossartigen Beitrag zu einem familiären und einzigartigen Umfeld für die Menschen im Dorf. An ihrer aufgestellten und fröhlichen Art merkt man, dass Ingrid am richtigen Platz ist: «Vor 20 Jahren gab mir eine Bekannte den Tipp, mich im Gehörlosendorf zu bewerben. Ich wusste sofort, dass dies mein Wunsch-Arbeitsplatz war – was bis heute so ist. Ich liebe es, mit den Bewohnenden zu plaudern, zu lachen und immer wieder Neues voneinander zu lernen. Ich hoffe, dass ich das Praktizieren der Gebärdensprache bis zu meiner Pension fördern kann, damit die Kommunikation zwischen Gehörlosen und Hörenden noch mehr gelebt wird.»

Wir danken Ingrid herzlich für das bereichernde Wirken im Dorf und wünschen ihr, dass ihr Arbeitsalltag erfüllend bleibt bis zur Pensionierung in zwei Jahren.

 

«Ich startete im Gehörlosendorf mit Gebärdensprachkursen. Es freute mich sehr, als ich vom damaligen Leiter eine Festanstellung angeboten bekam. So weiteten sich meine Tätigkeiten auf Nachtpikett, Pflege und Begleitung der Bewohnenden aus. Auch die Durchführung von Seniorennachmittagen habe ich immer sehr gerne gemacht. Mein Pensum hat immer wieder etwas geändert und ich bin sehr dankbar für die Flexibilität meiner Vorgesetzten. Ich mag es sehr mit Menschen zu arbeiten – vor allem die Kommunikation liegt mir am Herzen. Es bewegt mich immer wieder neu, wenn Bewohnende mit dem, was sie beschäftigt oder aktuellen Themen auf mich zukommen. Ich könnte stundenlang plaudern, spielen und zusammen lachen. Dabei lerne ich immer wieder Neues von den Menschen im Dorf. Dies hilft auch den Hörenden im Betreuungsteam, da nicht alle die Gebärdensprache so gut beherrschen. Ich denke, dass mich viele Bewohnende gut mögen – vielleicht auch deshalb, weil ich manchmal zu lieb bin.

Es gab viele Highlights in den vergangenen 20 Jahren. Da erinnere ich mich vor allem an die schönen Ferien mit den Bewohnenden. Aber auch kleinere Anlässe wie Klausabende oder die jeweils sehr besinnlichen Weihnachtsfeierlichkeiten sind mir in Erinnerung geblieben.

Nebst all dem Erfreulichen gab es auch immer wieder kleinere und grössere Herausforderungen. Durch das Wachstum des Gehörlosendorfes ging das Familiäre etwas verloren. Heute habe ich leider auch nicht mehr so viel Zeit für die Bewohnenden, da andere Aufgaben dazu gekommen sind. Herausfordernd ist auch, dass sich im Gehörlosendorf viele Gebärden entwickelt haben, die ausserhalb anders oder gar nicht gebärdet werden. Am meisten hat mich aber die Kommunikation mit den Ukraine-Flüchtlingen herausgefordert, denen nach Kriegsbeginn im Gehörlosendorf vorübergehend ein Wohnplatz geschenkt wurde. Nebst der Gebärdensprache ist auch die Kultur dieser Menschen ganz anders. Trotzdem gelingt es mir gut, am Abend abzuschalten und die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Ausser vielleicht, wenn ein Sprachkurs nicht so gelaufen ist, wie ich geplant habe. Dann kann es passieren, dass es auf dem Nachhauseweg rotiert in meinem Kopf, was ich nächstes Mal besser machen könnte.

Manchmal frustriert es mich etwas, wenn die Kommunikationsregeln nicht eingehalten werden. Es ist mir wichtig, dass sich alle gegenseitig respektieren und dass Hörende Rücksicht nehmen auf anwesende Gehörlose und umgekehrt. Es passiert sehr schnell, dass Hörende in einem Gruppengespräch in Lautsprache zu plaudern beginnen, ohne dass sie es merken – Gehörlose sind dann ausgeschlossen.

Alles in allem bin ich sehr glücklich hier und arbeite sehr gerne. Da ich schon in zwei Jahren pensioniert werde, freue ich mich darauf, mit meinem Mann auf Reisen zu gehen. Aber vorher träume ich davon zu erleben, dass im Begegnungsbereich unseres Haupthauses im Gehörlosendorf nur noch gebärdet wird und dass wieder mehr Gehörlose in der Stiftung arbeiten.»